Von Schneiderschinken und Kettelspulen

      3 Kommentare zu Von Schneiderschinken und Kettelspulen
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Vor gut einer Woche gab es vom Stiebner-Verlag einen Blogger Call zur Rezension eines neuen Buches: Nähen mit Strickstoffen von Linda Lee. Ich habe mich gemeldet, allerdings ohne Losglück zu haben. Da jedoch meine hilfreiche Nachbarin gerade mit dem Nähen von Strickstoffen angefangen hatte, dachte ich, dieses Buch wäre ein nettes Dankeschön für die viele Unterstützung der letzten Zeit und bestellte (und bezahlte) ein Exemplar direkt beim Verlag.

Tja, und nun schreibe ich doch eine Rezension, denn… schon beim ersten Durchblättern fiel mir mehrfach das Wort Jackett ins Auge, das ich in einem Buch über Strickstoffe nicht erwartet habe. Ich verstehe unter einem Jackett eine aus feiner Webware gefertigte Jacke, die Teil eines Anzugs ist. Aus Strickstoff würde ich eher einen Blazer oder eine Jacke nähen. Das Buch ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Ob sich da ein so genannter „falscher Freund“ eingeschlichen hat? Also ein Wort, das in beiden Sprachen ähnlich ist, aber nicht dieselbe Bedeutung hat. Aber einer Übersetzerin sollte doch so etwas nicht passieren.

Interessiert fing ich also an zu lesen und mit jedem Umblättern einer Seite wurde mir klarer, ja, diese Übersetzerin hat offensichtlich noch nie vor einer Nähmaschine gesessen. Das optisch und haptisch wunderschön gestaltete, informative Buch ist schlicht und ergreifend miserabel übersetzt. Es wimmelt von wortwörtlichen Übersetzungen, wo es doch einfach zu findende Fachbegriffe gibt. Beispielsweise Nahtzugabe und nicht Saumzugabe, Umschlag und nicht Falz, Fadenlauf und nicht Faserverlauf. Der Stickstich einer Nähmaschine wird gemeinhin Geradstich genannt und Spandex ist ein amerikanischer Begriff, wir sagen dazu Elasthan. In meiner Overlock gibt es übrigens auch kein Wollnylon in der unteren Kettelspule, sondern Bauschgarn im unteren Greifer.

Ärgerlich wird es, wenn Schrittlinie mit Schrittlänge verwechselt wird, und die Übersetzung von tailor’s ham mit Schneiderschinken hat mich fast in mein Bügelei beißen lassen. Da spielt es schon beinahe keine Rolle mehr, dass das Kapitel über die Overlock mit Interlock-Maschine überschrieben ist (wurde auf der Errata-Seite des Verlags bereits korrigiert) oder dass Stoffverbräuche in Yard und nur in Klammern in Metern angegeben werden.

Ein Kapitel des Buches befasst sich mit dem Individualisieren von Schnitten. Aber was nützen mir die Hinweise zur Bestimmung des Brustpunktes, sollte er im Schnittmuster nicht eingezeichnet sein, wenn ich den Begleittext zum Foto auch nach mehrmaligem Durchlesen und Angucken des Fotos nicht begreife? Gezeigt ist nur ein Maßband, das im rechten Winkel zur vorderen Mitte irgendwo auf dem Schnittteil liegt. Und dazu dieser Text: „…zeichnen Sie mit dem Lineal eine leicht diagonale Linie (A) von der Mitte der Schulterlinie bis zum Scheitelpunkt der Brust…“ Die genannte Linie (A) ist nicht zu erkennen. Und was bitte ist der Scheitelpunkt meiner Brust?  Schauen wir doch mal einige Seiten vorher bei den Anweisungen zum Maßnehmen nach. Da steht: Schulter bis Brustpunkt: Von der Mitte der Linie zwischen den beiden Schultern bis zum Brust-(Scheitel-)punkt messen. Die Mitte der Linie zwischen beiden Schultern ist bei mir mitten am Hals. Die Brusthöhe (und dieses Maß ist hier wohl gemeint) messe ich jedoch immer vom seitlichen Halsansatz bis zur Brustspitze. So wird es übrigens auch in der nebenstehenden Illustration gezeigt.

Ich könnte jetzt noch ewig weiter schreiben, von gesteuertem Maschen- oder Matratzenstich über Coverstich-Maschinen und blanke Kanten hin zu Doppelnahtnadeln. Aber ich denke, für eine Rezension reicht auch dieser kleiner Einblick.

Fazit:
Das Buch ist vom Inhalt her informativ, die Bilder sind gut. Dem gesamten Text jedoch mangelt es an
1. einer Übersetzung mit Sachverstand (oder einer Übersetzerin, die zumindest vorab mal Fachbegriffe recherchiert, was eigentlich selbstverständlich sein sollte),
2. einem Lektorat, das auch Schreibfehler findet, und
3. an der im Übersetzerjargon als „Lokalisierung“ bekannten Anpassung an die in Deutschland üblichen Gegebenheiten (z.B. sind bei uns in Schnitten Nahtzugaben eben nicht unbedingt enthalten und niemand hierzulande näht Strickstoffe mit 6,4 mm Nahtzugabe, sondern üblicherweise mit 0,7 cm oder 1 cm).

Wenn Euch allerdings der Text egal ist, Ihr Euch gut zusammenreimen könnt, was gemeint sein könnte, und Ihr sowieso lieber Bilder anguckt, dann ist das Buch durchaus noch brauchbar. Meiner Nachbarin als Nähanfängerin hab ich lieber etwas anderes geschenkt.

Der Vollständigkeit halber:
Nähen mit Strickstoffen
Linda Lee
1. Auflage, 144 Seiten
Format: 20,3 × 35,4 cm, Softcover Klebebindung;mit Klappen
ISBN: 978-3-8307-0994-7
Ich hab 24,50 Euro bezahlt.

Nachtrag: Ich hab mal neugierig beim Stiebner-Verlag einige Leseproben anderer, ebenfalls übersetzter Nähbücher angeschaut. Die sind weitaus professioneller und besser übersetzt.

3 Anmerkungen zu “Von Schneiderschinken und Kettelspulen

  1. Michaela

    Ups, sowas tut dir weh, das kann ich gut verstehen und es ist echt unprofessionell, so ein schlecht übersetztes Buch auf den Markt zu bringen.
    Liebe Grüße… und endlich wieder viel Spaß an der Nähmaschine
    Ela

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  2. momi_machts

    Ärgerlich, wenn Du Geld ausgibst für eine schlechte Übersetzung, auf der andern Seite klingt das aber auch nach viel Spaß, ein paar Begriffe wären für den ‚Wortstoffhof‘ von Axel Hacke geeignet!

    Viel Freude am wieder Nähen
    Grüße Christiane

    Reply

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